Linguolandeskundliche (linguokulturologische) Wörterbücher

Uuml;ber die Quellen linguolandeskundlicher Informationen

Das national-kulturelle Kolorit einer Sprache ist vor allem durch Lexeme und Phraseologismen ausgedrückt. Es gibt folgende Hauptquellen linguolandeskundlichen Wissens:

1) unmittelbares Kennenlernen von Land und Volk, Aneignung von Sprache und Kultur beim Aufenthalt im jeweiligen Land;

2) belletristische, publizistische, (populär)wissenschaftliche Texte;

3) Massenmedien (Presse, Funk, Film, Fernsehen, Internet);

4) Lehr-, Unterrichts- und Nachschlagewerke (Wörterbücher, Konversationslexika, Enzyklopädien mit eingeschlossen);

5) Festhalten und Auswertung von Eindrücken, Erinnerungen, Urtei­len von Personen, die im jeweiligen Land eine gewisse Zeitperiode ver­lebt haben;

 

Linguolandeskundliche Informationen weisen drei Erscheinungsformen auf: verbale (in Worte gekleidete), nonverbale und verbal-paralinguistische. Bekanntlich untersucht die Paralinguistik sprachbegleitende Erscheinungen: Mimik, Gestik, Kinesik, Atmung u. a. Demgemäß lassen sich linguolandeskundliche Begriffe folgendermaßen klassifizieren:

1. Einheiten verbaler Kommunikation:a) Realienbezeichnungen; b) Assoziationen hervorrufende sprachliche Formen (Mikrotexte: Apho­rismen, Zitate, Phraseologismen).

2. Paralinguismen:a) Mimik; b) Gesten; c) Körperhaltungen.

3. Rituelle (verbal-paralinguistische) Begriffe:a) Sitten, Bräuche, Tra­ditionen; b) Etikette, Umgangsformen; c) Volksglauben, Aberglauben, Volks-, Bauernregeln.

 

In den letzten Jahren wurde in Russland eine ganze Reihe von linguolandes­kundlichen Wörterbüchern und Nachschlagewerken veröffentlicht, die uns Realien, Kulturkonzepte, Traditionen und Wertesysteme der europäischen und anderen Völker präsentieren.

Landeskundliche Erklärungen widerspiegeln die sozial-stereotypisierte Erfahrungswelt der jeweiligen Nation. „Das Geheimnis der Nationalität jedes Volkes (um mit dem russischen Literaturkritiker W. G.Belinskij zu sprechen) liegt nicht in seiner Klei­dung und Küche, sondern in seiner Art, Dinge aufzufassen“ (übrigens eine Analogie zu W. von Humboldt).

1.Wir gehen auf drei Wörterbücher ein. Das Nachschlage­buch „Landeskundliche Realien der deutschen Sprache“von G.I. Kulikov und V. I. Martinevskij (Minsk, 1986) ist ein erster Versuch zur Systematisierung von spezifischen Realien der deutschsprachigen Län­der (damals waren es die DDR, die BRD, Österreich, die Schweiz, Lu­xemburg, Liechtenstein). Es enthält über 4000 Wörter und Wortverbin­dungen. Dies sind geografische Namen, staatliche Institutionen, politi­sche Parteien und Massenorganisationen, historische Ereignisse, Persön­lichkeiten des politischen und gesellschaftlichen Lebens, Repräsentanten der Wissenschaft, Literatur, Kunst und Kultur, Presseorgane, Nach­richtenagenturen, Verlage, Firmen und Unternehmen, literarische und Musikwerke, literarische Gestalten, Titel, Auszeichnungen, Nationalge­richte, Gegenstände des Alltagslebens, Sehenswürdigkeiten u.a.m.

Der Wortartikel hat folgende Struktur: deutsches Stichwort, gramma­tische Information, Übersetzung ins Russische, Erläu­terung, Definition in russischer Sprache, Benennungsmotiv (innere Form):

Barbarossa Барбаросса <букв. «краснобородый»> — прозвище Фридриха I (1125 — 1190) (герм, король и император «Священ. Рим. Империи» с 1152г.). Barbarossaplan, m / Fall „Barbarossa» — кодовое наименование плана агрессив. войны фаш. Германии против СССР.

Fachwerk, n фахверк — в средневековой зап.-европ. архитектуре деревян. брусчатый остов (каркас) малоэтажных зданий, состоящий из системы стоек, раскосов и обвязок, с заполнением камнем, кирпичом, глиной (см. Fach­werkbau, -haus).

Ländler, m: лендлер — народный австр.-нем. танец (парный круговой), муз. размер ¾ или 3/8.

Weißer Sonntag: белое воскресенье — первое воскресенье после Пасхи.

2.Das linguolandeskundliche Wörterbuch, das Deutschland gewidmet ist, heißt: «Германия: Страна и язык. Landeskunde durch die Sprache»,verfasst von Dina G. Malzeva (M., 1998)., Das Wörterbuch behandelt rund 1700 Realien­begriffe aus der Geschichte, Kultur, Literatur, Geografie Deutschlands. Das Material ist nach dem thematischen Prinzip aufgebaut. Die Realien wer­den den 25 Sachbereichen zugeordnet: geografische Lage und Klimaverhältnisse, Pflanzen- und Tierwelt des Landes; Geschichte, Sitten und Bräuche, alte Legenden, Symbolik der Zahlen und Farben; Feste und Feiertage, Religion und Kirche; Industrie, Technik, Handel, Wissenschaft, Militärwesen im Spiegel der Sprache; Baukunst und Städtebau, Schule und Universität, Sprache und Schrift; Kleidung, Küche,Spiele, Volkstänze; national-spezifische Gesten, Eigennamen, Aphorismen, deutsche Volkslieder, Werke der schönen Literatur.

Das Wörterbuch ist eine Art Enzyklopädie des deutschen Lebens.

Einige Stichproben: zum Thema „Hochzeit“ gehören nicht nur Be­nennungen von Jubiläen (hölzerne, kupferne, gläserne, diamantene usw. Hochzeit), sondern auch Sprichwörter, Aphorismen, Volksglauben, Re­geln: Die Hochzeiten werden in der Stille gefeiert, der Lärm fängt in der Ehe an. Frühe Hochzeit, lange Liebe (vgl. Jung gefreit, nie gereut oder:... immer gereut). Man kann nicht auf zwei Hochzeiten zugleich tanzen.

Die Lieblingszeit für Hochzeiten ist Pfingsten. Hochzeiten werden meist freitags oder samstags gehalten. Die Volksweisheit belehrt: Wer am Donnerstag heiratet, dem donnert’s in die Ehe (vgl. в мае жениться — век маяться).

Aus der Gender-Sicht ist „Guter Rath“ zu beherzigen (принять, во внимание, к сердцу, запомнить; vom unbekann­ten Verfasser):

Präge dir beim Streite Zankt das femininum

Böser Eheleute mit dem maskulinum

Nur die Regel ein: musst du neutrum sein.

Zur Symbolik der Zahlen: die „Drei“ hat von alters her die symbolische Bedeutung von Vollendung, Abgeschlossenheit, Vollständig­keit. Eine wichtige Handlung wird dreimal vollzogen: dreimal wird etwas bekannt gemacht; dreimal wird ein Lebehoch ausgebracht; mit drei Ham­merschlägen auf den Grundstein spricht man bestimmte Wünsche aus; dreimal muss man an Holz klopfen; drei Hände Erde ins Grab werfen; die dreimalige Salve wird abgegeben bei der Beisetzung des gefallenen Soldaten.

Die „Drei“ versinnbildlicht Glück: Dreizahl — Glückszahl. Die Zahl „drei“ ist auch in Phraseologismen und Sprichwörtern oft gebraucht: Al­ler guten Dinge sind drei (Бог троицу любит); Man muss dreimal messen, ehe man einmal schneidet (Семь раз отмерь, один раз отрежь), drei Kreuze hinter j-m machen — (разг. фам.) облегчённо вздохнуть после ухода кого-л. — соответ. жест за спиной уходящего). Das Wörterbuch von D. Malzeva ist eine attraktive und unterhaltsame Lektüre.

3.Das linguolandeskundliche Wörterbuch „Österreich“von N.V. Muravljova enthält über 4000 Realienbezeichnungen und umfasst solche Sachbereiche wie Bräuche, Feste, Traditionen, Besonderheiten der Lebens­weise der Österreicher, Kultur und Kunst, Bildung und Wissenschaft, das politische System, Wirtschaft, Sozialpartnerschaft, Sozialversicherung, Per­sonalien, historische Ereignisse, Sehenswürdigkeiten. Am Ende des Buches wird die Wörterbuchkonzeption begrün­det.

 

Als Spiegel von Spra­che und Kultur erfüllen die Wörterbücher fünf soziale Funktionen:

1. informierende(sie vermitteln uns gespeicherte Kenntnisse);

2. kommunikative(sie halten die Gebrauchsbedingungen der Wörter und ihre Kombinierbarkeit fest);

3. normative(durch Wörterbücher wird die Sprache normiert, kodifiziert);

4. kumulative(speichernde);

5. kulturelle,kulturell orientierende Funktion.

 

Beim Zusammenwirken aller Funktionen überwiegt doch im linguolandeskundlichen Wörterbuch die kumulative Funktion.