Die Gestaltung der Rede in ihrer funktionalstilistischen Differenzierung

Die Grundtypen der Rede. – Die sachgerichtete Rede. – Die Redetypen in der Kunstprosa: die Figurensprache, die Autorensprache, die direkte Rede, die indirekte Rede, die erlebte Rede, der innere Monolog.

Wie die Stilforscher betonen, erscheint die Rede in ihren verschiedenen Typen, die in der Sach- und Kunstprosa unterschiedliche Funktionen haben. Wenn der Sachprosa und den mit ihr verbundenen Funktionalstilen hauptsäch­lich informierend-dokumentierender Charakter der Rede eigen ist, wird die Gestaltung der Rede in der Kunstprosa nicht nur durch die Mitteilung, sondern auch durch die ästhetische Funktion bestimmt, die über die kommunikative Funktion hinausgeht. Dafür steht dem Verfasser eines literarischen Werkes eine Auswahl von Redetypen zur Verfügung.

Die Redeverkörperung in sachlichen Texten bezeichnet man im allgemeinen als sachgerichtete Rede. Sie ist in ihrem Wesen (expressiv) stilistisch neutral, abstra­hiert von der Person des Berichters (entpersonalisiert), hat zu ihrer semantischen Grundlage objektive Sachverhalte.

Die Komprimierung oder inhaltliche Verdichtung (Konzentration), die dieser Redetyp verkörpert, hängt mit bestimmten Besonderheiten seiner syntaktischen Struktur zusammen – mit der Tendenz zur maximalen Erhellung des Satzes durch seine klare Gliederung und Entfaltung nach dem Prinzip der linearen (geradlinigen) Satzkonst­ruktion, der damit verbundenen Tendenz zur Gruppensetzung durch Substantive (zur Blockbildung), dem Bestre­ben, den Umfang des Einfachsatzes zu vergrößern. Ge­rade das trägt in sich die sachgerichtete Rede, so wie sie in Texten der offiziellen Dokumente, der Wissenschaft, in großen Referaten und Berichten der Presse ausgeprägt ist. Als Beispiele können folgende zwei Texte dienen:

– ein diplomatisches Dokument:

(1) „Die Deutsche Demokratische Republik und die Volksrepublik Polen haben,

feststellend, daß beide Staaten gutnachbarliche Beziehungen dauerhafter Freundschaft, allseitiger Zusammenarbeit und des gegenseitigen Beistandes herge­stellt haben,

geleitet von dem Bestreben, diese Beziehungen auf der Grundlage der Prinzipien des sozialistischen Internationalismus weiter zu entwickeln und zu festigen, [...] feststellend, daß die Überwindung des Militarismus und Neonazismus die Voraussetzung für die friedliche Regelung der deutschen Frage ist, und bekräfti­gend, daß die künftige Herbeiführung eines einheitlichen, friedliebenden und demokratischen deutschen Staates nur auf dem Wege der Normalisierung der Be­ziehungen zwischen beiden deutschen Staaten im Ergebnis von Vereinbarungen zwischen der Deutschen De­mokratischen Republik und der westdeutschen Bundes­republik sowie unter Bedingungen möglich ist, die die Sicherheit ihrer Nachbarstaaten gewährleisten, [. . .] beschlossen, den vorliegenden Vertrag abzuschlie­ßen...“ (Gesetzblatt der DDR.)

– eine ökonomische Werbung

(2) „Rationell produzieren ist eine Forderung unserer Zeit. Durch umfangreiche Rationalisierungsmaßnah­men in unseren Fertigungsbereichen sind wir in der Lage, ein in vielen Zweigen der Volkswirtschaft be­währtes Automatisierungsmittel kurzfristig zu liefern. Ob in der Industrie, in der Landwirtschaft, im Handel oder im Handwerk, wo auch immer unsere Motorkom-pensatoren...bisher eingesetzt wurden, ergab sich durch sie eine erhebliche Steigerung der Arbeitsproduktivi­tät und eine beachtliche Qualitätsverbesserung der Erzeugnisse. Unsere in Serienfertigung nach dem Baukastensystem hergestellten Motorkompensatoren sind universell einsetzbar.“

Die Redegestaltung in literarischen (belletristi­schen) Texten ist anders. Man muß vor allem die Typen der Rede nach dem Merkmal ,,Redeproduzent“ unterschei­den: die Autorensprache (die Autorrede) und die Figuren­sprache (die Figurenrede).

Bei der Autorensprache beabsichtigt der Redeproduzent neben der Mitteilung eines bestimmten Inhalts auch die Einwirkung auf den Leser: er formt seine Rede so, daß der Leser ihm folgt, gepackt wird, in Spannung versetzt, daß bei ihm verschiedene „vorgesehene“ Gefühle hervor­gerufen werden. Die Autorensprache enthält sowohl objek­tive Beobachtungen des Autors als auch Einschätzungen und Urteile, persönliche Schattierungen des Verhaltens; daher kann sie objektiv und zugleich subjektiv sein, emo­tional wirken. Aber der unmittelbar persönliche Aus­druck— die ich-Form — erscheint in dieser Rede nicht oft, charakteristischer ist für sie eine persönlich-neutrale Ausdrucksweise. Ein Textauszug aus dem Roman „Der 9. November" von B. Kellermann illustriert die Autoren­sprache:

(3) „Klara suchte Wolle, um damit ein Paar kleine Puls­wärmer zu stricken. [...] Häufig hielt sie sich in der Straße auf, wo Frau Sterne-Dönhoff wohnte... Die Damen Sterne-Dönhoff gingen immer in Schwarz. Sie trugen dicht anliegende Wollkleider, flache, schmuck­lose Hüte, spitze Schuhe. Die Mutter ging immer in der Mitte. Sie sprachen wenig und sie lachten nie“

Die Figurensprache ist zum Unterschied von der Autoren­sprache stark persönlich betont. Sie ist im allgemeinen die Gesamtheit der Äußerungen der im Text wirkenden Personen (Figuren). Wegen ihres persönlichen Charak­ters kann sie verschiedenartig gefärbt sein: die Personen drücken ihre Gedanken, Gefühle, Meinungen aus, sie können dabei bewerten, Stellung nehmen, empfinden, urteilen, appellieren. Man kann behaupten, daß dieser Redetyp eine unübersehbare Skala emotionaler Schattie­rungen besitzt. Deshalb bestimmen W. Fleischer und G. Michel die stilistische Wirkung der Figurensprache als „spannungsbeladene Dynamik“ [37, S. 215]. Das veran­schaulicht folgende Figurenrede:

(4) ,,Otto schlug den Kragen des Mantels hoch und fluchte.

,Furchtbar, entsetzlich!’

,Wie beliebt?’

,Einfach entsetzlich.’

,Sie meinen, Otto?’

,Dieses Geschwätz! Diese Teegesellschaft! — Ich gehe

übrigens links, Heinz. Ich muß zum Kaiserhof.“

(B. Kellermann, Der 9. November.)

Die Autorensprache und die Figurenrede stehen oft im Wechsel, dabei gehören sie innerlich zusammen, sind an der betreffenden Textstelle unzertrennbar, was sich sehr stark fühlen läßt, z.B.:

(5) „Da sprang sie auf, lief hinaus, fuhr mit der Straßen­bahn den weiten Weg zur Stadt zurück, schon wieder war Nebel, sie fror. ,Gestern bin ich,’ schreibt sie der Schwester, ,abends durch die Altstadt nach Hause ge­gangen. War plötzlich rasend abgespannt, landete in einer feuchten Spelunke, die Damen und Herren glotz­ten mich an.’“ (Chr. Wolf, Nachdenken über Chri­sta T.)

Die Redetypen unterscheiden sich weiter nach der Art der Redewiedergabe, wodurch zwei schon lange bekannte Redeformen bedingt sind: die direkte Rede als unmittel­bare Wiedergabe und die indirekte Rede als Wiedergabe fremder Äußerungen. In der Sachprosa erscheint die di­rekte Rede in Form von Zitaten, Halbzitaten u.a. Als Zitate gelten gewöhnlich Äußerungen bedeutender und bekannter Autoritäten, sie erleichtern die Beweisführung und machen sie glaubwürdiger. Einige von ihnen dienen als Anschauungszitate, sie veranschaulichen die Haltung des Verfassers zum dargestellten Sachverhalt und können sogar eine expressive Färbung tragen [37, S. 211—213]. In der Kunstprosa, d.h. in den Texten der schönen Lite­ratur bildet die direkte Rede die Grundlage oder den konstruktiven Kern der Figurensprache. Sie dient somit der Charakterisierung einzelner Personen. Das wird durch die Schilderung direkter Gespräche, an denen die betref­fenden Personen teilnehmen, erreicht. Die Person 'kann individuell und typisiert (als Vertreterin einer bestimmten sozialen Gruppe, Landschaft, einer Generation usw.) cha­rakterisiert werden. Dafür zeigt sie, entsprechend der Absicht des Autors, solche Besonderheiten in ihrer Sprache (in der Aussprache, im Satzbau und Lexikon), die ihrer Rolle im Text entsprechen müssen. Außerdem enthält ihre Sprache noch spezielle stilistische Merkmale (Elemente des Saloppen oder Groben, Jargonismen, Pro­fessionalismen usw.). Nach D. Faulseit und G. Kühn ist die direkte Rede ein Mittel der Personencharakterisierung, als Figurensprachc gibt sie unmittelbar Gedanken und Meinungen der Person wieder, erschließt ihren Charakter, ihre Lebensauffassung, ihre Interessen usw. Sie trägt dadurch zur lebendigen Gestaltung des literarischen Textes bei [35, S. 238]. Vgl. folgendes Beispiel:

(6) „ ,Sie dürfen nicht weggehen, Sie sind verhaftet.’ ,Es sieht so aus’ sagte K. ,Und warum denn?’ fragte er dann.

,Wir sind nicht dazu bestellt, Ihnen das zu sagen. Gehen Sie in ihr Zimmer und warten Sie. Das Verfahren ist nun einmal eingeleitet, und Sie werden alles zur richtigen Zeit erfahren. Ich gehe über meinen Auftrag hinaus, wenn ich Ihnen so freundschaftlich zurede...’ “ (Fr. Kafka, Der Prozeß.) [61]

Aus dem Text ist zu erkennen, daß beide Gesprächspart­ner höflich und ruhig, ohne merkliche Spur der Feind­schaft einander gegenüberstehen. Aber die Sprache des ersten Gesprächspartners ist betont offiziell, trägt keine emotionale oder persönliche Schattierung: er geht trocken seinen Pflichten nach und erlaubt sich keine Ge­fühlsregungen. Vgl. noch ein Beispiel:

(7) „ ,Zwischen den Schlachten’, sagte die Exzellenz lächelnd und deutete auf Turbane, Federbüsche und die Woge von nacktem Fleisch da unten. ,Exzellenz bemerken sehr treffend. Es sind zumeist Offiziere, die auf Urlaub hier sind, Atem schöpfen, um morgen zur Front zurückzukehren.’ ,Ja, ja, ja.’

,Exzellenz —.’

... ,Lieber Freund’, sagte er, ,ich darf wohl bitten, alles Zeremoniell zu lassen. Wir sind doch alte Freunde. Ja, wie lange kennen wir uns schon?’

,Es sind’, der General dachte nach, ,es dürfen wohl dreißig Jahre sein.’ “ (B. Kellermann, Der 9. No­vember.)

Die direkte Rede wird hier zum Spiegel der Beziehungen zwischen den beiden Gesprächspartnern: der eine gibt sich entspannt, familiär, der andere dagegen gespannt, ehrerbietig, weil vor ihm ein „Einflußreicher“, ein „Wür­denträger“ sitzt.

Die indirekte Rede als eine mögliche Erscheinungsart der Figurensprache enthält nicht eigene Gedanken und Äußerungen der Person, sondern die Wiedergabe in ihrer Rede fremder Aussagen, Meinungen, fremder Empfindun­gen:

(8) „Sie ging in die Vorlesungen, saß auf ihrem Platz im Lesesaal, folgte mit den Augen den Reihen der Bücherrücken und fürchtete auf einmal, hier könnte schon auf jede Frage eine Antwort stehen.“ (Chr. Wolf, Nachdenken über Christa T.)

Im Vergleich zur direkten Rede wirkt sie weniger expres­siv, weil sie keine unmittelbare Charakterisierung ist.

Aber sie unterstreicht oft eine distanzierte Haltung der mitteilenden Person, ihre Absicht, objektiv oder neutral zu bleiben, was stilistisch ausgenutzt werden kann. Die Stilforscher weisen auf folgende wichtige Tatsache hin: bei der indirekten Rede sind die Unterschiede zwischen der Sachprosa und der Kunstprosa weniger deutlich als bei der direkten Rede. Ihr Anteil an der Per­sonencharakterisierung in literarischen Texten ist deshalb nicht so groß. An manchen Textstellen fällt die indirekte Rede mit der Autorensprache zusammen. Sie eignet sich für solche Beschreibungen, die nach E. Riesel und E. Schendels „emotionsarm und sachlich gefärbt“ sein müssen [54, S. 283]. Dasselbe meinen auch D. Faulseit und G. Kühn, indem sie betonen, daß das Anwendungs­gebiet der indirekten Rede hauptsächlich der sachlich­berichtende Text ist [35, S. 238]. Der Schriftsteller aber versteht es, die indirekte Rede mit der direkten Rede zu kombinieren, wodurch im literarischen Text ein Wechsel der beiden Redeformen entsteht. Dieser Wechsel wird oft zu einem sehr wichtigen Element der Textgestaltung:

(9) „Thomas war entschlossen, sich von der Sekretärin nicht abweisen zu lassen. Er bemerkte ihr Zögern, als er seinen Namen nannte. Er wußte, Herbert war in seinem Zimmer. ,Es geht jetzt wirklich nicht.’ Thomas setzte sich, bereit zu warten. ,Ich weiß nicht, ob es Sinn hat’, sagte die Sekretärin und schrieb weiter, beunruhigt durch das selbstsichere Auftreten von Thomas. Der Entschluß, Herbert aufzusuchen, war seiner Ungeduld entsprungen.“ (Heiduczek, Abschied von den En­geln.) [62]

Als spezifische Typen gelten für die Kunstprosa die erleb­te Rede und der innere Monolog. Sie schließen sich im allgemeinen der Figurensprache an, aber es handelt sich um keine echte Rede: die echte Rede wird lautlich verwirk­licht, während bei diesen Redetypen ihre lautliche Reali­sierung nicht zustande kommt. Die Rede bleibt unausge­sprochen, im Innern des Menschen.

Die erlebte Rede bedeutet Widerspiegelung von Gedanken­abläufen im Zusammensang mit bestimmten Gefühlsemp­findungen und Stimmungen. Im Unterschied zu der di­rekten Rede wird sie nicht als ich-Form, sondern in Form der dritten Person dargestellt, wie die Autorensprache. Man nennt sie machmal „die uneigentliche di­rekte Rede“. Sie gleicht nur inhaltlich der Figuren­sprache (der direkten Rede), erschließt dem Leser den inneren Zustand der betreffenden Person. Formell aber gleicht die erlebte Rede der Autorensprache. Ihre Abgren­zung von der Autorensprache ist manchmal schwierig, weil keine speziellen Kennzeichen dafür vorhanden sind. Man erkennt den Übergang von der Autorensprache zur erlebten Rede hauptsächlich am Wechsel der stilistischen Tönung des Textes: an persönlichen und subjektiven Be­wertungsmomenten, an gesteigerter Gefühlstätigkeit, an unruhiger, oft erregter Intonation der Aussagen, was sich in bestimmten syntaktischen Merkmalen ausdrückt – Ellipsen, rhetorischen Fragen, Satzabbrüchen, Ausrufe­sätzen usw.

Die genannte Zweideutigkeit der erlebten Rede bezeichnen z. B. W. Fleischer und G. Michel als ihre „Anpassungsfä­higkeit“: sie kann sich der Autorensprache anpassen und Ausdruck von Gedanken und Gefühlen des Autors sein; und sie kann sich auch der Figurensprache anpassen, zu einer betont emotionalen Darstellung der Gedanken und Stimmungen einer Figur werden [37, S. 225]. Auch E. Riesel und E. Schendels unterstreichen diese Eigen­schaft und meinen, daß sich „alle Möglichkeiten der Re­dedarstellung“ in diesem Redetyp berühren [54, S. 285]. Die erlebte Rede ist ein erprobtes Mittel der Stilistik. „Wir begegnen ihr darum vornehmlich dort, wo sich die Figur... in innerem Zwiespalt oder in starker Erregung befindet... Die erlebte Rede gewährt einen tiefen Einblick in solchen inneren Zustand“, schreiben D. Faulseit und G. Kühn. Sie bestimmen sie deshalb als ein gutes Mittel zum Ausdruck innerer Konflikte, erregter Gedankenabläufe, seelischer Empfindungen [35, S. 246].

Spezielle häufig erscheinende Kennzeichen der erlebten Rede sind Gedankenstriche, Gedankenpunkte, Ausrufe- und Fragezeichen usw. Ein Beispiel aus dem Text soll der Illustration des Gesagten dienen:

(10) „Als Thomas nach Kossin kam, um angelernt zu wer­den, hatte er viel Enttäuschung erlebt. Andere Arbeit ... Schlechte Wohnung bei ekligen Leuten. Alleinsein ... Mithelfen in Kossin! Aufbauen! Darunter hatte er sich in der Schule was anderes vorgestellt... Er war auf Robert Lohse gestoßen. Der war ihm dann eine Zeitlang alles zusammen: Bruder und Kumpel und Genösse. Wenn er an Robert zurückdachte, brauchte er nicht zu suchen, was Robert für ihn war. Ja, Genösse, ja, Freund.“ (A. Seghers, Das Vertrauen.) [62]

Die Autorensprache ist in dieser Beschreibung mit der erlebten Rede vermischt, man erkennt die Übergänge von der einen in die andere an den obencharakterisierten Merkmalen.

Der innere Monolog unterscheidet sich von der erlebten Rede dadurch, daß er von der ersten Person geführt wird und gewöhnlich die ich-Form (auch du-Form) besitzt. Er bedeutet eine mehr oder weniger ausführliche Analyse eines Sachverhalts vom Standpunkt der Figur aus. Die Darstellung kann dabei vollständig und logisch zusam­menhängend sein, sie kann aber auch abgerissen, fragmen­tarisch aussehen, entsprechend dem Zustand der Figur. Die Zeitform im inneren Monolog ist sehr oft das Präsens, weil es die Fähigkeit besitzt, den Inhalt in seiner Zeitlosigkeit, also Allgemeingültigkeit darzustellen. Der innere Monolog dient in der Regel den Schilderungen von unruhigen seelischen Zuständen der Romanfiguren, ihren problematischen (philosophisch gefärbten) Auseinander­setzungen mit sich selbst. Die Stilforscher sehen in ihm „das in Gedanken geführte Selbstgespäch“ einer Figur [35, S. 244]. Das nachstehende Beispiel zeigt eine solche Text­stelle:

(11) „Er seifte sich seine Hand und wusch sie mit unendli­cher Langsamkeit und ließ das Wasser laufen. Ich habe Frau und Kinder. Warum kommt der Mensch zu mir? Bei jedem Schritt zittern müssen. Und was man mir Tag für Tag antut...“ (A. Seghers, Das siebte Kreuz.) [62]

Der Mann empfindet Angst, Unruhe, er führt im Innern ein Selbstgespräch, das von diesen Gefühlen durchdrun­gen ist. Äußerlich aber ist er bei seiner gewöhnlichen alltäglichen Beschäftigung.

Der innere Monolog kann in die Autorensprache eingefloch­ten sein, eine solche Beschreibung wirkt stark expressiv, weil der Übergang von der gewöhnlichen Beschreibung zum inneren Monolog als etwas Unerwartetes erscheint.

(12) ,,Christa T. hat, auch wenn sie lässig schien, anstren­gend gelebt... Sie hat nicht versucht, sich davonzu­machen, womit gerade in jenen Jahren so mancher begonnen hat. Wenn sie ihren Namen aufrufen hörte, stand sie auf und ging und tat, was von ihr erwartet wurde, aber wem soll sie sagen, daß sie lange dem Na­mensruf nachlauschen muß: Bin ich gemeint? Oder sollte es nur mein Name sein, der gebraucht wird? Zu anderen Namen gezählt, emsig addiert vor dem Gleich­heitszeichen? Und ich könnte abwesend sein, keiner würde es bemerken?“ (Chr. Wolf, Nachdenken über Christa T.)

Darstellungsarten und Realisierungsformen der Rede (Textsorten)

Allgemeines über die beiden Begriffe.— Die Ausgliederung und Begründung der Darstellungsarten.— Das Beschreiben. – Das Berichten. – Das Erzählen.– Das Erörtern. – Das Schildern. – Das Betrachten. – Die Textsorten und die einzelnen Funktionalstile.

Mit der Entwicklung der Sprache und Vervollkommnung der gesellschaftlichen Kommunikation haben neben der Herausbildung von Grundtypen der Rede auch ihre verschiedenen Realisierungsformen und Darstellungsarten Gestalt gewonnen. Ihre allgemeine Aufgabe besteht darin, das immer anspruchsvoller werdende Bedürfnis nach Differenzierung innerhalb der Kommunikation zu befriedigen.

Die Auffassung der beiden Begriffe – die Realisierungs- oder Gebrauchsformen der Rede und ihre Darstellungsarten – in der gegenwärtigen Sprachwissenschaft stellt, wie die Sprachforscher selbst anerkennen müssen, „ein Bild verwirrender Vielfalt“ dar [37, S. 268]. Man versteht darunter entweder Verschiedenes oder dasselbe: so betrachten z.B. M.P. Brandes und M.P. Pironkowa „Mitteilung“, „Beschreibung“, „Bericht“, „Schilderung“ usw. als Darstellungsarten, während sie bei W. Fleischer und G. Michel „Beschreiben“, „Berichten“, „Schildern“ usw. heißen. Die Realisierungs- oder Gebrauchsformen sind bei M.P. Brandes und M. P. Pironkowa z.B. „Bekanntmachung", „Notiz“, „Zeitungsbericht“, „Lebenslauf“, ,,Protokoll“, „Patentschrift“ u.a. [30, S. 69—72], anhand des Buches von W. Fleischer und G. Michel aber kann man den Eindruck bekommen, daß gerade „Beschreibung“, „Bericht“, „Erzählung“, „Erörterung“ usw. Realisierungsformen der Rede sind.

Um diese Inkonsequenzen zu vermeiden, scheint es zweckmäßig und richtig zu sein, die Darstellungsarten allgemein als bestimmte Verfahren zu betrachten, deren Anwendung bestimmte Textsorten oder Realisierungsformen der Rede ergibt, z. B.: „das Beschreiben“ als Darstellungsart oder als Verfahren ergibt „die Beschreibung“ als Realisierungsform (oder Textsorte) usw. Den Fragen der Textgestaltung, ihren Verfahren und Textsorten widmet man in der heutigen Linguistik viel Aufmerksamkeit. „Man erkennt immer mehr und mehr die Bedeutung einzelner Darstellungsarten für die Textgestaltung in verschiedenen Bereichen der gesellschaftlichen Kommunikation“, stellen W. Fleischer und G. Michel fest [37, S. 269]. Die Erforscher der russischen Sprache sprechen in diesem Zusammenhang von besonderen „funktional bedingten Redeformen“ 1 [24, S. 285]. Wenn dem Text als Redeeinheit ein Merkmalkomplex eigen ist, meinen die Sprachforscher, so bildet die im Text dominierende Darstellungsart der Rede den wichtigsten Bestandteil dieses Komplexes. Bestimmte Darstellungsarten sind mehr oder weniger, aber nicht absolut an bestimmte Funktio­nalstile gebunden. So muß z.B. das Beschreiben als Darstellungsart „nicht nur sachlich informieren, sondern auch eine bestimmte Wirkung beim Empfänger erzielen, ein bestimmtes Interesse erzeugen, an bestimmte Gefühle, Wünsche, Hoffnungen appellieren“ [30, S. 72]. Es kann also in verschiedenen Funktionalstilen vorkommen. Weiter sei zu betonen, daß ein und derselbe Informationsgehalt durch verschiedene Darstellungsarten vermittelt werden kann, was von den Bedingungen der Kommunikationssi­tuation abhängt. Aber Hauptgesetzmäßigkeiten lassen sich für einzelne Funktionalstile doch feststellen. Die Gestaltungsarten der Rede werden auf verschiedene Weise begründet und voneinander abgegrenzt, Die bis jetzt vorgeschlagenen Gliederungen ergeben noch keine endgültige Klassifikation, denn „nicht einmal die Anzahl der... Grundtypen darf als konstante Größe gewertet werden [37, S. 272]. Man betrachtet als einzelne, selbständige Arten z.B. Berichten, Beschreiben, Schildern, Betrachten usw. W. Fleischer und G. Michel unterscheiden in ihrer Stilistik Beschreibung, Bericht, Erörterung, Erzählung, Schilderung, Betrachtung, denen zugrunde Beschreiben, Berichten, Erörtern usw. liegen. Sie gehen vor allem davon aus, daß die Information objektiv und subjektiv gefärbt sein kann; dann fügen sie noch hinzu, daß der Anteil subjektiver Faktoren verschieden sein kann, daß all das im Zusammenhang mit dem Redeinhalt stehen muß. Speziell wird betont, daß auch mit der beeindruckenden (impressiven) Wirkung der Information gerechnet werden muß. Mit Berücksichtigung dieser Momente kann man eine Zusammenfassung der Darstellungsarten vorschlagen, die folgenderweise aussieht:


 

Redeinhalt Darstellungsarten
Faktoren Typen objektiv subjektiv speziell impressiv
Gegenstand Zustand Beschreiben Beschreiben Schildern Schildern
Vorgang Beschreiben Berichten   Erzählen Schildern
Problem Erörtern Betrachten

Die ausgegliederten Darstellungsarten der Rede bedürfen einer näheren Charakteristik, die ihre schematisch angegebene Zusammenfassung ergänzen soll.

Das Beschreiben ist ein informatives Darstellen verschiedener Tatsachen, Zustände usw. Dabei handelt es sich um die Übermittlung von Tatsachen vor allem im Rahmen der sachlichen Information. Deshalb ist diese Art ein wesentliches Merkmal der sachgerichteten Rede (der Sachprosa). Aber wegen der dabei möglichen persönlichen Färbung (die Anteilnahme des Verfassers) ist sie auch in den kunstprosaischen Texten gebräuchlich (besonders in der Autorensprache). Als Beispiele seien angeführt — eine sachliche Beschreibung:

(13) „Potsdam und Sanssouci gehören ebenso zusammen wie die Begriffe Dresden und Zwinger oder Leipzig und Messe Das ehemalige königliche Lustschloß, das sich Friedrich II. von Preußen (1712—1786) bauen ließ, liegt inmitten eines großen Parks mit weiteren berühm­ten Bauwerken. Früher war es dem einfachen Bürger nicht zugänglich. Erst seit 1946 ist es — mit staatlichen Mitteln restauriert — zur kulturellen Bildungsstätte für das ganze Volk und zum Anziehungspunkt für viele in- und ausländische Touristen geworden. Auch Schloß Cecilienhof, in dessen Räumen am 2. August 1945 das Potsdamer Abkommen von den USA, der UdSSR und England unterzeichnet wurde, dem sich auch Frankreich später anschloß, zieht jährlich viele Besucher an.“ [42]

— eine beschreibende Textstelle aus der schönen Literatur:

(14) „Von acht früh bis mittags zwölf hielt Oberbürgermeister Thomas Weiß Sprechstunde ab. Es war oft unmöglich, alle abzufertigen, die kamen. Wem er nicht sofort helfen konnte, für den hatte er ein mitfühlendes, tröstendes Wort. Mancher ging mit einem solchen Wort im Ohr schon beglückt davon. So gewann er mit fast leeren Händen Vertrauen. Selbst wenn wichtige Besprechungen auf ihn warteten und Ungeduld ihm das Blut kribbeln machte, blieb er ruhig und tat, als habe er viel Zeit. Dabei verstand er es meisterlich, unwichtige Gespräche auf ein Minimum zu beschränken, ohne den Besucher zu kränken.“ (W. Bredel, Ein neues Kapitel.) [62]

Das Berichten dient gleichfalls der informativen Darstel­lung. Als sprachliche Besonderheiten der daraus entste­henden Realisierungsform — des Berichts — nennen W. Fleischer und G. Michel einen höheren Prozentsatz von Verben als in der Beschreibung, ein auffallendes Zu­rücktreten von Adjektiven, eine exakte Angabe von Lokal-und Temporalbestimmungen, das Präteritum als dominie­rendes Tempus, während es in der Beschreibung das Prä­sens ist, besonders in seiner generalisierenden Funktion, weil es das Streben nach Allgemeingültigkeit befriedigt.

Das Berichten kann auch von subjektiv-emotionalen Momenten begleitet sein, und die dadurch bedingte Textsor­te – der Bericht – bildet eine der wichtigsten Erschei­nunsformen in der Presse und Publizistik, obwohl er auch in den anderen Kommunikationsbereichen möglich ist. Als Beispiele dafür dienen:

– ein Vorgangsbericht:

(15) „Am 9. November 1953, 19,05 Uhr, fuhr ein Fernlastzug des VEB Kraftverkehr (SB 55—37) von ... nach ... . Die Ladung bestand aus Baumwollballen. An der Kurve vor ... Brücke in... kam der Lastzug ins Schleudern, da die Straße infolge des eingetretenen Frostes glatt war. Der Fahrer ... verlor die Herrschaft über den Wagen. Dieser durchbrach das Geländer und stürzte die steile Uferböschung hinab in das Flußbett. 19,07 Uhr traf ein Sanitätswagen der VP ein; der Fahrer und der Beifahrer ... wurden schwer verletzt, aus der zertrüm­merten Fahrerkabine geborgen und in das Stadtkran­kenhaus ... eingeliefert. Ein herbeigerufener Bergungs­zug begann 19,07 Uhr mit der Bergung des Lastzuges und der Ladung. Der Straßenverkehr konnte aufrecht­erhalten werden.“

– ein Wetterbericht:

(16) ,,Das europäische Hoch hat sich seit gestern weiter abgeschwächt und verlagert sich zur Zeit nach Süd­osten. Damit hört die Zufuhr der trockenen und kalten Luft aus Osten auf. Vor Irland ziehen Tiefdruckgebiete über Mittelskandinavien nach Südosten. Bei schwacher Luftbewegung ist heute nach Auflösung von Nebelfel­dern im Norden mit aufkommender Bewölkung zu rechnen, während es im Süden meist noch heiter bleibt. Die Tagestemperaturen steigen einige Grade über den Gefrierpunkt. Nachts wird, im Norden leichter, im Süden noch mäßiger Frost erwartet. In der Folge kann es zeitweise wieder zu Niederschlag und nachts noch zu leichten Frösten kommen“

Das Erzählen unterscheidet sich schon stärker von der sachlich-registrierenden Wiedergabe der Information da­durch, daß es eine subjektivere Färbung trägt. ,,Die Aufmerksamkeit des Erzählers richtet sich daher nicht nur auf die bloße Abfolge von Ereignissen“, betonen W. Fleischer und G. Michel, „sondern auch auf die Gestaltung von Stimmungen, Gefühlen, Gedanken. In diesem Sinne ist die Erzählung „gezielte, emotionale Einwirkung auf den Empfänger...“ [37, S. 286]. Deshalb wird die Erzählung zu einer der Grundformen in den Texten der schönen Lite­ratur, sowohl in der Autorensprache, als auch in der Figurensprache, im Stil der Alltagsrede. Die Kunstprosa hat überhaupt zahlreiche Erzählformen entwickelt, und als sprachliche Merkmale dienen dabei eine verhältnismä­ßig hohe Anzahl von Verben, das präteritale Tempus, aber auch das Präsens als Mittel der Vergegenwärtigung und Verlebendigung, eine relativ große Zahl von Modalwörtern usw., vgl. folgendes Beispiel:

(17) „Das war fünf Tage davor, am 13. März, kurz nach zehn Uhr in der Magdeburger Wilhelm-Pieck-Allee geschehen: Passanten haben ein kleines Mädchen entdeckt, das in Höhe der fünften Etage auf einem schma­len Mauersims herumklettert. Eine aufgeregte Men­schenmenge sammelt sich an. Niemand kann etwas tun, um das Kind zu retten... Da läuft mit hastigen Schritten ein sowjetischer Offizier herbei, reißt sich den Mantel von den Schultern, spannt ihn zwischen seine Arme. Gebannt blickt er nach oben... Jetzt rutscht die Kleine ab, stürzt in die Tiefe. Hauptmann Belikow korrigiert ein wenig seinen Standort, das Kind fällt mitten auf den geschickt gehaltenen Man­tel, die Wucht des Aufpralls reißt den Offizier um. Nun springen andere herbei. Heben das Mädchen auf, das kaum etwas von der Gefahr begreift, die es eben durchlebt hat, drücken dem jungen sowjetischen Soldaten die Hand. Der hüllt die Kleine in seinen Mantel, trägt sie nach oben, legt sie der fassungslosen Mutter in den Arm, die gerade vom Einkauf heimgekehrt, und geht...“ (Freie Welt.) [62]

Beim Erörtern sind beide Komponenten – die informative und die pragmatische – stark ausgeprägt. Hierzu gehören als Abarten das Kommentieren, das Argumentieren, zum Teil auch die Elemente des Berichtens und des Beschreibens. Diese Art eignet sich gut für die sachliche Darlegung mit theoretischen Fragestellungen, Problemlösungen, verallgemeinernden Schlußfolgerungen usw. Sie stimmt mit solchen Stilzügen wie Objektivität, Exaktheit, Folgerichtigkeit u.a. überein und ist dementsprechend besonders im Stil der Wissenschaft sehr verbreitet. Als sprachliche Merkmale der Textsorte „Erörterung" gelten ein beträchtlicher Anteil von Substantiven, unter ihnen Fremdwörter, Fachwörter aus verschiedenen Fachgebieten, ein auffallendes Zurücktreten von Verben, Abstrakta und Komposita usw. Zur Illustration wird unten ein Text angeführt:

(18) „Der Reichtum der Gesellschaften, in welchen kapitalistische Produktionsweise herrscht, erscheint als eine ungeheure Warensammlung', die einzelne Ware als seine Elementarform. Unsere Untersuchung beginnt daher mit der Analyse der Ware.

Die Ware ist zunächst ein äußerer Gegenstand, ein Ding, das durch seine Eigenschaften menschliche Be-dürinisse irgendeiner Art befriedigt. [...] Jedes nützliche Ding, wie Eisen, Papier usw. ist unter doppeltem Gesichtspunkt zu betrachten, nach Qualität und Quantität. Jedes solches Ding ist ein Ganzes vieler Eigenschaften und kann daher nach verschie­denen Seiten nützlich sein. Diese verschiedenen Seiten und daher die mannigfachen Gebrauchsweisen der Dinge zu entdecken, ist geschichtliche Tat. So die Findung gesellschaftlicher Maße für die Quantität der nützlichen Dinge.

Die Nützlichkeit eines Dinges macht es zum Gebrauchswert... Bei Betrachtung der Gebrauchswerte wird stets ihre quantitative Bestimmtheit vorausgesetzt, wie Dutzend Uhren, Elle Leinwand, Tonne Eisen usw. Die Gebrauchswerte der Waren liefern das Material einer eigenen Disziplin, der Warenkunde. Der Gebrauchswert verwirklicht sich nur im Gebrauch oder der Konsumtion. Gebrauchswerte bilden den stofflichen Inhalt des Reichtums, welches immer seine gesellschaftliche Form sei. In der von uns zu betrachtenden Gesellschaftsform bilden sie zugleich die stofflichen Träger des – Tauschwerts.

Der Tauschwert erscheint zunächst als das quantitative Verhältnis, die Proportion, worin sich Gebrauchs­werte einer Art gegen Gebrauchswerte anderer Art austauschen...“ (K. Marx, Das Kapital. Bd. 1)

Das Schildern wird als Grundlage der impressiven Darstellung gewertet. Der Blick des Schildernden richtet sich „immer sowohl nach außen, auf bestimmte Merkmale von Sachverhalten, als auch nach innen, auf deren Wirkung auf das eigene Ich.“ [37, S. 293]. In der Schilderung als Realisierungsform treten zahlreiche Adjektive auf, zum Zweck der vielseitigen Merkmalserfassung, anschauliche Bilder und Vergleiche, überhaupt viele konnotativ bedingte Mittel, die zoir Emotionalisierung und Subjektivierung der Aussage beitragen. Ihre vorwiegende Verwendung findet diese Realisierungsform im Stil der schönen Literatur. Als Beispiele seien genannt:

(19) „Schweigend und reglos stehen die mächtigen Bäume des Hochwaldes. Kein Lufthauch bewegt die stolzen Wipfel. Geschäftig huschen die Eichhörnchen an den Stämmen auf und nieder. Mit ärgerlichem Gezeter streicht ein Eichelhäher ab. Bei diesem mißtönenden Geschrei bewegt sich etwas, kaum wahrnehmbar, in einem besonders hohen, dichten Baumwipfel; Feder­ohren richten sich mißtrauisch auf, runde Augen mit prachtvoller gelber Iris, die am äußeren Rande rötlich erglänzt, spähen argwöhnisch in die Runde. Das schrille ,Kiäh' des Hähers hat den Uhu hoch oben im Baumwipfel aus seinem Halbschlummer geweckt.“

Noch eine Textstelle solcher Art:

(20) „Die Wintersonne stand nur als armer Schein, milchig und matt hinter Wolkenschichten über der engen Stadt, Naß und zugig war's in den giebeligen Gassen, und manchmal fiel eine Art von weichem Hagel, nicht Eis, nicht Schnee.

Die Schule war aus. Über den gepflasterten Hof und heraus aus der Gatterpforte strömten die Scharen der Befreiten, teilten sich und enteilten nach rechts und links. Große Schüler hielten mit Würde ihre Bücher­päckchen hoch gegen die linke Schulter gedrückt, indem sie mit dem rechten Arm wider den Wind dem Mittagessen entgegenruderten; kleines Volk setzte sich lustig in Trab, daß der Eisbrei umherspritzte und die Siebensachen der Wissenschaft in den Seehundsrän-zeln klapperten. Aber hie und da riß alles mit frommen Augen die Mützen herunter vor dem Wotanshutund dem Jupiterbart eines gemessen hinschreitenden Oberlehrers...“ (Th. Mann. Tonio Kroger)

Beim Betrachten handelt es sich um eine teilweise expressive Art (im Vergleich zum Erörtern). Die Realisierungsform „Betrachtung“ bezieht sich ebenfalls auf Probleme, aber sie enthält auch die Wiedergabe von Eindrücken. Doch spielt das Rationale dabei und nicht das Emotionale (wie beim Schildern) seine bestimmende Rolle. Das Betrachten hat also gemeinsame Züge nicht nur mit dem Erörtern, sondern auch mit dem Schildern, man kann es in bestimmtem Sinne als einen Mischtyp, eine gemischte, obwohl manchmal ganz selbständige Textsorte ansehen. Ein Beispiel soll es veranschaulichen:

(21) „...Gibt Brecht noch genügend zu denken, gehen also von ihm heute jene produktiven Genüsse aus, die nach seiner Meinung allein ein Theater des wissenschaftlichen Zeitalters rechtfertigen?

Hält die Wirkung Brechts heute der Kritik, welche Brecht gestern an diesen Wirkungen übte, stand, wenn man nun seine Kriterien auf ihn selbst anwendet? Da schon erhebt sich eine zweite Frage: auf welcher Ebene eine solche Untersuchung durchgeführt werden kann, da sie auch Gewohntes herausfinden muß, das eben, weil es Gewohntes ist, nicht unmittellbar gegenwärtig ist. Eine Umfrage: halten Sie Brecht heute für wirksam? wäre absurd, da sie völlig ausklammern würde Impulse, die in das Leben einer Gesellschaft eingegan­gen sind und die insofern wirksam sind, da sie nicht immer wieder von vorn gedacht werden müssen, sondern mittelbar auf das tägliche Verhalten einwir­ken...“

Im allgemeinen wäre es nicht übertrieben, von allen Darstellungsarten zu sagen, daß sie mehr oder weniger Mischtypen sind: jede von ihnen enthält Elemente einer anderen oder aller anderen; sie sind kombiniert, verbin­den sich in jeder Form in unterschiedlicher Weise. Es kommt deshalb nicht so sehr auf die genaue Bestimmung der Darstellungsart an, wie auf die Feststellung des für sie am meisten Typischen, der Dominanz. Diese Dominanz muß mit dem Redeinhalt und der Kommunikationssituation in Verbindung stehen, dadurch also ihre Begründung erhalten.